MVG und S-Bahn ziehen beim Semesterticket die Notbremse


Angesichts greifbarer Lösung erklären die Münchener Verkehrsbetriebe Verhandlungen abrupt für gescheitert – Studierendenvertreter fassungslos. München bleibt die Großstadt in Deutschland, welche ihren über 80.000 Studierenden trotz ausgezeichneter Hochschulen ein Semesterticket schuldig bleibt. Alle Beteiligten klärten mit dem MVV Tarifmodell und technische Details, bis kurz vor der Erstellung eines offiziellen Angebotes MVG und S-Bahn die einzige Lösung zum Scheitern bringen.

Besonders die Weigerung der MVG als Tochter der Stadtwerke München frappiert wegen ihres direkten Zusammenhangs mit der Stadtregierung. „Diejenigen, welche sich zuletzt für die Münchener Kommunalwahl ein Semesterticket ins Programm geschrieben haben, vertrösteten uns erst über den Wahltermin hinaus, um dann das Thema abzuschießen“, sagt Anian Kammerloher, Vorsitzender des Fachschaftenrates an der TUM. „Wir hatten mit dem Studentenwerk München und selbst innerhalb des MVV großartige Verbündete für unsere Lösung. Drei Jahre Arbeit vorerst umsonst, das schmerzt“, so Christian Briegel, Semesterticketbeauftragter der Studentischen Vertretung der Technischen Universität München.

Durch alle Instanzen arbeiteten die Verhandlungspartner ein seit dem Frühjahr 2007 auf dem Tisch liegendes Modell aus. Das Studentenwerk München, die Hochschulen und ihre Studentischen Vertretungen an LMU, TUM, und HM, der MVV sowie die Staatsministerien für Wissenschaft und Wirtschaft arbeiteten zielorientiert an der Lösung zur Einführung des sogenannten Sockelmodelles: ein Solidarbeitrag aller Studierenden pro Semester hätte ein fakultatives, also freiwilliges Semesterticket ermöglicht. „Die Einführung wäre für die Verkehrsbetriebe umsatzneutral gewesen, d.h. ohne Verlust. Dies ist sogar gesetzlich vorgesehen“, erläutert Briegel. Die Studentischen Vertretungen hätten in Urabstimmungen ihre Studierenden vor der endgültigen Einführung eines Tickets entscheiden lassen, auch um den potentiellen Erfolg zu beurteilen und das unternehmerische Risiko für die Verkehrsbetriebe zu minimieren. Doch dazu kommt es erst gar nicht.

Wer den verpflichteten Sockelbetrag von 45 Euro pro Semester entrichtet, hätte als Entschädigung sechs Monate lang das Gesamtnetz des MVV unter der Woche abends und am Wochenende ganztags nutzen können. Für ein jederzeit gültiges Semesterticket wären 170 Euro zusätzlich zu entrichten gewesen: sechs Monate ganztags das Gesamtnetz für in Summe ca. 215 Euro.

„Nach unserer Berechnung wären 48% der Studierenden an der TUM mit diesem Angebot günstiger gefahren. Selbst bei nur 30 oder 40% wäre dies immer noch ein Erfolg gewesen. Ca. 65% der Studierenden nutzen den MVV und zahlen teilweise 300 bis 400 Euro im Semester“, bestätigt Andreas Haslbeck vom AK Semesterticket. „Um auf andere Hochschulen Rücksicht zu nehmen, haben wir selbst im ersten Verhandlungsgespräch die Splittung des Aufpreises im Sockelmodell nach Innenraum, Außenraum und Gesamtnetz vorgeschlagen“, so Haslbeck weiter. „Die Münchener Studierenden lassen sich trotz unterschiedlichen Mobilitätsverhaltens beim Semesterticket nicht auseinanderdividieren, denn eine für alle flexible Lösung wurde auch unsererseits angestrebt.“

Der MVV behauptet, dass nur 24% aller Studierenden einem Sockelmodell zustimmen würden. An der TUM jedenfalls decken sich eine prognostizierte Ersparnis bei 48% aller Studierenden eher mit einer 54%-igen Zustimmungsquote für ein Sockelmodell aus unserer Umfrage im Jahr 2006, an der immerhin mit 6.451 Studierenden etwa ein Drittel aller Kommilitonen teilgenommen hat, was ihr besonderes Interesse unterstreicht. Mit der alleinigen Nennung der 24%-igen Quote für ein Sockelmodell wird in der Pressemitteilung des MVV vom 14.7.2008 ein Großteil der Daten übersprungen, denn über LMU, TUM und HM verteilt gaben 41% einen bestimmten Kauf der Ticketerweiterung im Sockelmodell an, weitere 37% einen wahrscheinlichen Kauf. „Im Verlauf der Verhandlungen hatte irgendwann jeder seine eigenen Preise und Zahlen, weshalb eine abschließende Urabstimmung über ein konkretes Angebot geplant war und sinnvoll gewesen wäre. Eventuell könnte man sich trotz der Entscheidung von MVG und S-Bahn München auf diesen Schritt verständigen“, schlägt Briegel vor.

Das in vielen Städten praktizierte und in München ebenfalls diskutierte Einkomponentenmodell ist auf Grund der rechtlichen Rahmenbedingungen in Bayerns Landeshauptstadt nicht umsetzbar. Die Kosten hierfür hätten verpflichtend bis zu 190 Euro pro Semester für alle Studierenden betragen, wie der MVV an das Studentenwerk München schreibt. „Dass das Einkomponentenmodell nicht geht, war jederzeit klar. Man ist wohl mit Absicht auf ein totes Pferd aufgesprungen, um vom Sockelmodell abzulenken“, vermutet Briegel. „Das Sockelmodell hätte insbesondere an der TUM und der Hochschule München besonders die Langstreckenfahrer entlastet, einen für viele interessanten Mehrwert geboten und bei attraktiver Preisgestaltung eine echte Chance gehabt“, erläutert Haslbeck.

Durch die Reduzierungen der Ausgleichszahlungen für den öffentlichen Nahverkehr ist in München mittlerweile die Situation entstanden, dass Arbeitnehmer größerer Unternehmen eine Zeitkarte des MVV günstiger erwerben können, als die Studierenden: der MVV gibt Rabatte bei Jahreskarten ab einer Mindestabnahme von 1.000 Stück im Rahmen der IsarCardJob direkt an die Kunden weiter, während der Ausbildungstarif im erheblichen Maße vom Freistaat subventioniert werden muss. „Wir freuen uns für die Arbeitnehmer, denn wir hätten gerne ein ähnliches Angebot. Dass die Stadt gegen diese Schieflage nichts unternimmt und den Studierenden trotz einer ausverhandelten Lösung ein Angebot verweigert, ist ein Skandal“, sagt der Vorsitzende des Fachschaftenrates.

„Die MVG und die S-Bahn München haben im letzten Moment die Notbremse gezogen, bevor eine Einführung argumentativ nicht mehr zu stoppen gewesen wäre. Denn alle hatten ihre Hausaufgaben erledigt“, sagt Christian Briegel. Dass den Studentischen Vertretern die Möglichkeit genommen wurde, von ihren Kommilitonen ein Angebot bewerten zu lassen, ärgert den AStA der TUM dabei im Besonderen. Der AStA hätte in den Verhandlungen ein zu hohes Angebot der Verkehrsbetriebe an das Studentenwerk abgelehnt, wäre dies das Ergebnis einer Urabstimmung gewesen. „Das unternehmerische Risiko eines Scheiterns des Tickets nach seiner Einführung wäre somit gemindert worden. Wir können kein Angebot erzwingen, jedoch erschließt sich uns diese politisch unkluge Entscheidung der Verkehrsbetriebe nicht“, so Briegel weiter.

In den kommenden Wochen möchte sich der Arbeitskreis Semesterticket an der TUM mit dem Studentenwerk München und den Kommilitonen anderer Hochschulen treffen, um weitere Schritte zu beraten. „Wir haben Gesetze studiert, Umfragen durchgeführt, Modelle berechnet, zig Präsentationen erarbeitet und Briefe geschrieben. Mit unseren Möglichkeiten sind wir ziemlich am Ende. Nur eine politische Entscheidung hilft noch weiter, denn Fragen zur Wirtschaftlichkeit und technischen Details wurden bestmöglich geklärt. Für alternative Lösungen und weitere Gespräche bleiben wir selbstverständlich offen“, fasst der AK Semesterticket zusammen.

Auch wenn der aktuelle Stand zu einem Münchener Semesterticket unerwünscht bleibt, gelten besonderer Dank und Anerkennung für die gute Zusammenarbeit unserer Hochschule, dem Studentenwerk München, den Staatsministerien für Wissenschaft und Wirtschaft sowie den Unterstützern im MVV.

Studentische Vertretung der TUM


Über den AK Semesterticket an der TUM:

Ehrenamtlich arbeiten Studierende an der TUM zum Semesterticket seit Sommer 2005. Im diesem Jahr wurden erste papierbasierte Umfragen am Standort Garching durchgeführt. Anfang 2006 wurde das Engagement auf alle drei Standorte der TUM ausgedehnt und eine online Umfrage durchgeführt, an welcher mit 6451 Personen über ein Drittel aller Studierenden der TUM teilnahm. Gestützt durch die Ergebnisanalyse, Modellrechnungen und entsprechenden Verhandlungsunterlagen wurde Anfang 2007 durch das Studentenwerk München und der TUM mit dem Wirtschaftsreferenten der Stadt München und dem MVV das erste Verhandlungsgespräch geführt.

Einen Überblick zum AK Semesterticket der TUM erhalten Sie unter
http://www.fs.tum.de/semeti

Die wichtigsten Unterlagen des AK Semesterticket der TUM stehen gesammelt zur Verfügung unter /media/ak-semeti/semeti_10_mappe-mai-2008.pdf